Transkriptionsregeln

 

Die vorliegenen Transkriptionsregeln unterliegen einem zweifachen Leitgedanken: Sie sollen eine möglichst zuverlässige Wiedergabe des handschriftlichen Texts bieten und zugleich eine bessere Lesbarkeit als eine photographische Reproduktion aufweisen. Dabei müssen die Eingriffe der Herausgeber stets sichtbar und reversibel sein.

1. Zeilenwechsel
Die Zeilenwechsel des handschriftlichen Originals werden beibehalten.
a. Die Zeilennummer des Originals erscheint in geschweiften Klammern, die zwischen Spatien stehen, am Beginn der Editionszeile: hertzog {6} zuo Bar
b. Wenn der Zeilenwechsel im Wortinneren stattfindet, erscheint die Zeilennummer ohne Spatien; rech{4}te
c. Trennzeichen des Originals werden wiedergegeben: ge={4}woren

2. Worttrennung
Die Worttrennung durch Spatien des Originals wird beibehalten, auch wenn sie vom modernen Usus abweicht: anderteil; dar zu.

3. Interpunktion
a. Die Interpunktionszeichen des Originals werden so handschriftennah wie möglich wiedergegeben. Insbesondere werden, soweit aus dem handschriftlichen Befund eindeutig ableitbar, hohe und mittelhohe Punkte von tiefen Punkten unterschieden
b. Ungewöhnliche Interpunktionszeichen (z.B. im Dreieck angeordnete Punkte) werden in einer Anmerkung erläutert.

4. Fehler, Korrekturen
a. Grundsätzlich bleiben Schreiberversehen in der Edition stehen.
b. Lücken, Dittographien und andere offensichtliche Fehler werden ebenfalls nicht im Editionstext korrigiert, aber in einer Anmerkung kenntlich gemacht.
c. Expungierungen, Streichungen und Rasuren erscheinen nicht im Editionstext, sondern im kritischen Apparat
d. Über der Zeile oder am Rand nachgetragene Passagen und Elemente werden als solche im Apparat verzeichnet.
e. Unlesbare Passagen werden durch Asterisk kenntlich gemacht, wobei die Anzahl der Asteriske ungefähr der Anzahl nicht entzifferbarer Buchstaben entsprechen sollte.
f.  Unlesbare Passagen, die aus dem Kontext erschlossen werden können, erscheinen in eckigen Klammern.

5. Buchstabenformen
a. Grundsätzlich wird eine Wiedergabe der Buchstabenformen des Originals angestrebt
b. Insbesondere werden beibehalten die handschriftliche Verteilung der Buchstaben i/j, u/v und Schaft- bzw. Rund-s.
c. Auf i und j erscheinen nach modernem typographischen Usus Punkte.
d. Das Zeichen z erscheint auch für geschweiftes z der Handschrift.
e. Die handschriftlichen Zeichen ß, sz werden in der Transkription unterschieden.
f.  Zahlen werden originalgetreu wiedergegeben.

6. Diakritika
a. Grundsätzlich werden alle Diakritika des Originals wiedergegeben, auch dann, wenn keine phonographische Funktion erschließbar ist.
b. Unlesbare Diakritika werden im Apparat verzeichnet.

7. Majuskeln
a. Grundsätzlich wird eine originalgetreue Unterscheidung zwischen Minuskeln und Majuskeln angestrebt.
b. Gleichwohl bleibt die Unterscheidung in Einzelfällen heikel, auch wenn folgendes Identifizierungsverfahren angewendet wird. Zunächst werden Kandidaten für Majuskelschreibung auf der Basis der drei Kriterien Buchstabengröße, Schreibduktus und Ornamentierung ermittelt. In einem zweiten Schritt erfolgt ein Vergleich der Kandidaten mit allen Okkurrenzen des fraglichen Graphems in wortinitialer Position. Nur Fälle, in denen textintern eine eindeutige Unterscheidung zwischen Minuskel und Majuskel möglich ist, werden als Majuskel transkribiert.

8. Abkürzungen
Grundsätzlich werden handschriftliche Abkürzungszeichen in runden Klammern aufgelöst. Dabei wird ggf. auf den jeweiligen Sinnzusammenhang und syntaktischen Kontext geachtet. Die Auflösung erfolgt idealerweise nach der gebräuchlichsten Textform, andernfalls auch nach der mittel- oder frühneuhochdeutschen ‚Normalform‘. Als häufigste Abkürzungsformen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschsprachigen Urkunden lassen sich unterscheiden:
a. Sonderzeichen
Ein Wortteil oder ganzes Wort wird durch ein Sonderzeichen ersetzt. Am häufigsten sind in deutschen Texten der Nasalstrich und der –er-Haken. Der einem wortmedial oder wortfinal stehenden Vokalbuchstaben superskribierte Nasalstrich ist als folgendes n oder (selten) m aufzulösen: entfa(n)gen. Der einen Konsonanten- oder (selten) Vokalbuchstaben verlängernde Haken ist als er oder r aufzulösen:  v’zich > v(er)zich, ande‘ > ande(r).
b. Suspension
Die Niederschrift eines Worts wird vor dem Ende abgebrochen; Suspensionen kommen besonders bei hochfrequenten Ausdrücken vor: vorg > vorg(enant).
Einen Spezialfall der Suspension stellen Währungsbezeichnungen dar. Abweichend vom sonstigen Usus werden diese in der Edition nicht aufgelöst: gul (gulden), gr (groschen) usw.
c. Kontraktion
Dieser besonders in Urkunden frequente Typus kommt mit und ohne Signalisierung durch Sonderzeichen vor und ist daher nicht immer leicht zu erkennen: obg(ena)nt, burgg(ra)ue.

9. Zweifelsfälle
Trotz größter Bemühung um eine adäquate Wiedergabe der handschriftlichen Verhältnisse kann es bei der Lesung einzelner Passagen zu Zweifelsfällen kommen (etwa im Bereich der Getrennt-/Zusammenschreibung). Sofern diese nicht befriedigend gelöst werden können, wird darauf in einer Anmerkung erläuternd verwiesen.

10. Editionen für Historiker und Philologen
a. Die Punkte 1-8 beschreiben Prinzipien, die – mit mehr oder weniger großen Abweichungen und Variationen – einen Standard diplomatischer Transkriptionen  repräsentieren, wie er in der historischen Linguistik im allgemeinen und in der älteren deutschen Philologie im speziellen gebräuchlich ist. Primäres Interesse solcher Transkriptionen ist die Nutzbarkeit der Quellen für Fragestellungen der historischen Linguistik. Eingriffe wie die normalisierte Großschreibung von Eigenamen oder nomina sacra, die Einführung einer modernen Interpunktion oder die Normalisierung der Getrennt- und Zusammenschreibung nach modernen standardsprachlichen Regeln erschweren eine solche Nutzung oder machen sie unmöglich.
b. Primäres Interesse von Historikern ist der möglichst problemlose Zugriff auf den Wortlaut der edierten Quellen. Daher steht neben der philologischen Transkription jeweils eine Fassung, die den graphischen Standards geschichtswissenschaftlicher Quelleneditionen Rechnung trägt. Konkret bestehen Unterschiede in folgenden  Punkten:
- Gegen die handschriftliche Überlieferung steht Majuskel am Beginn von Absätzen, am Anfang von Orts- und Personennamen sowie bei namenähnlichen appellativischen Personenbezeichnungen (nomina sacra, Allegorien usw.).
- Gegen die handschriftliche Überlieferung wird die Getrennt- und Zusammenschreibung nach den Regeln der gegenwartssprachlichen Orthographie durchgeführt.
- Gegen die handschriftliche Überlieferung wird die Verteilung von i/j, u/v und Schaft- bzw. Rund-s nach modernem Usus normalisiert.
- Die Interpunktion wird, soweit dies aufgrund der spezifischen Syntax der Urkundensprache möglich ist, den Regeln der neuhochdeutschen Standardsprache entsprechend normalisiert.

 

Dominic Harion - Claire Muller - Nikolaus Ruge